Samstag, 20. Dezember 2008

Ausstellung: Vor dem Morgenessen für Gott turnen

Seit ein paar Jahren kehrt die Religion ins Zentrum der Öffentlichkeit zurück, schreibt die Neue Zürcher Zeitung am Sonntag. Welche Rolle die Medien dabei spielen, zeigt eine Ausstellung in Karlsruhe. 

Religion erfahre deshalb so viel Aufmerksamkeit, weil ihre Akteure sich der neuen Massenmedien bedienten, lautet die These. Am eindrücklichsten belegen dies die Videos islamistischer Terroristen. Joshua Simon führt sechs Bänder vor, welche Selbstmordattentäter vor ihrem Terrorakt von sich gedreht haben. Die Männer stehen frontal vor der Kamera, demonstrieren ihre Waffen und beten.

Wie nahe sich islamistischer und westlicher Glaubensfanatismus im Ausdruck kommen können, zeigen Gegenüberstellungen. Der Schauspieler Tom Cruise wirkt auf einem internen Schulungsvideo von Scientology nicht weniger bedrängend als Usama bin Ladin bei einer seiner Videobotschaften. Ein schimpfender Fernsehprediger am häuslichen Frühstückstisch lässt sich mühelos in einen islamischen Eiferer überblenden; Tonfall, Gesichtsausdruck und Gestik passen zusammen.

Die Werbung liefert denn auch eine derjenigen Bildsprachen, in denen religiöse Gemeinschaften und Künstler das Phänomen Religion formulieren. In Indien tauchen Hindu-Gottheiten auf Hauswänden, Plakaten und Basarbildchen wie Popstars auf. Dank westlichen Reproduktionstechniken durchdringt die religiöse Ikonographie den Alltag bis zum Bild im Portemonnaie.

Wie ist es mit der Einzigartigkeit des Erlösers bestellt, wenn er in vielen Details und in unzähligen Kopien längst zum Gegenstand der industriellen Reproduktion geworden ist? Die Kunst der Moderne hat sich als Abfolge von Erfindungen definiert und an den Bedingungen des Schöpfertums abgearbeitet. Die religiöse Verbrämung von Kunst und Politik, die uneingelösten Hoffnungen und Versprechen klingen an vielen Stellen der Ausstellung an, gleich ob es um das Lenin-Mausoleum Stalins oder um Gregor Schneiders schwarzen Tuchwürfel für den Markusplatz in Venedig und die Kaaba in Mekka geht. Die religiöse Inszenierung der Moderne, das Fortleben der einst in den Religionen formulierten Sehnsucht nach Erlösung und die Schwierigkeiten, darüber zu sprechen, bleiben ein Unruheherd.

Die Ausstellung «Medium Religion» im ZKM Karlsruhe dauert bis 19. 4.2009, eine Publikation ist in Vorbereitung.

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